Vom Grünfuttersilo zum Wohnturm
Erfahrungsbericht einer Hochsiloumnutzung von Werner Jung, Matzenbach
Wer auf dem Lande kennt sie nicht ? Die kleinen oder größeren Türmchen, die in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in den Dörfern wie Pilze aus dem Boden schossen. Gemeint sind Grünfutter- Hochsilos aus Stahlbeton. Die landwirtschaftlichen Betriebe begannen seinerzeit erstmals zu expandieren. Die
Viehbestände wurden größer. Der Hackfruchtanbau war zu arbeitsintensiv geworden und ging zurück. Die Silierung von Grünfutter ( Gras, Klee und Mais ) erlaubte
es, Viehfuttermengen auf kleinstem Raum zu lagern, ohne dass Scheunen und sonstige Futterlagerstätten vergrößert werden mussten. Zur Weiterentwicklung landwirtschaftlicher Strukturen wurde der Bau der Grünfuttersilos damals staatlicherseits gefördert.
In den 70er und 80er Jahren wuchsen die Viehbestände in den landwirtschaftlichen Betrieben immer weiter und es begann die Ära der Fahrsilos, die wesentlich
leichter und schneller zu befüllen waren und mehr Futterkapazität aufnahmen. Die Betontürmchen fielen in den Folgejahren in zunehmendem Maße dem Abrisshammer zum Opfer.
So funktionierten Hochsilos
Ich erinnere mich noch sehr gut zurück, als meine Eltern im Jahr 1964 eines dieser Hochsilos in Stahlbeton bauten. Ich war damals gerade 14 Jahre alt und
half kräftig beim Betonmischen. Wegen der engen Verschalung mit gerade mal 10 cm Abstand und der starken Stahlbewehrung musste der Beton sehr dünnflüssig
eingefüllt werden. Auch einige Nachbarn halfen tatkräftig mit. Soweit ich mich erinnern kann, war das Bauwerk in drei bis vier Tagen betoniert und wurde im
Jahr darauf in Betrieb genommen.
Die Befüllung erfolgte mittels eines Gebläsehächslers, der das Grünfutter zuerst einem Mulcher ähnlich zerkleinerte und dann über Blechrohre in das Silo einblies. Schichtweise wurde das Futter mit einem Konservierungsmittel bestreut. Über die gesamte Vegetationsperiode wurde das Silo befüllt. Im Frühsommer mit Gras, etwas später mit Klee und im Herbst folgte der Mais. Nach vollständiger Befüllung wurde eine Schale mit brennenden Kerzen obenauf gestellt und anschließend die Dachluke luftdicht verschlossen. Wenn der Sauerstoff verbraucht war, erloschen die Kerzen und das Futter war nahezu vakuumkonserviert.
Im Winter wurde die Silage verfüttert. Jeden Tag kletterte ich die senkrechte, etwa sieben Meter hohe Eisenleiter hoch und stieg über eine der Luken ein. Bei
Minustemperaturen froren die Wände im Innern des Silos durch und glitzerten vor Frost. Die Futterentnahme erfolgte an solchen Tagen im Akkordtempo.
Ferienwohnung statt Abriss
Anfang der 80er Jahre legten meine Eltern den landwirtschaftlichen Betrieb aus Gesundheits- und Altersgründen still. Das Silo diente fortan als Brennholzlager.
In der Zwischenzeit hatte ich mit meiner Familie ein Wohnhaus in etwa 20 m Entfernung zum Silo gebaut. Das Türmchen störte uns nicht, schließlich verbanden
sich damit auch Kindheits- und Jugenderinnerungen. In all den Jahren dachte ich hin und wieder über eine sinnvolle Verwendung nach. Doch irgendwann hatte ich
mich damit abgefunden, dass bei einem Innendurchmesser von gerade mal 3,4 m mit dem alten Silo nichts Sinnvolles mehr anzufangen sei. Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, den Baukörper abzureißen.
An einem Sonntag im Frühjahr 1997 saß ich mit einem langjährigen Bekannten Klaus D. auf dem Balkon unseres Hauses. Beim Anblick des Silos kam mehr oder weniger zufällig auch der ins Auge gefasste Entschluss zum Abriss zur Sprache. Klaus, von Beruf Architekt, fragte nach dem Innendurchmesser des Silos, verlangte nach einem Zeichenblock und Bleistift. Es dauerte keine halbe Stunde, und er hatte den Entwurf über den Ausbau des Silos zu einem Wohnturm mit drei Nutzungsebenen skizziert.
Der Planentwurf sah im Erdgeschoss neben dem Flur einen kleinen Installationsraum sowie ein halbkreisförmiges Duschbad vor. Im ersten Obergeschoss war der Aufenthaltsraum mit einer Pantry sowie einer halbkreisförmigen Sitzgruppe und einem Tisch in der Form eines Viertelkreises dargestellt. Das Schlafzimmer sollte im zweiten Obergeschoss untergebracht werden. Zu den einzelnen Geschossen führten Wendeltreppen.Lachend und kopfschüttelnd wurde der Entwurf im Kreise der Familie herumgereicht. In mir stieg zunehmend Begeisterung auf und ich beauftragte unsere Tochter Diana, die den Beruf der Bauzeichnerin erlernt hatte, die Pläne
für den Baugenehmigungsantrag zu zeichnen. Zu meiner eigenen Überraschung wurde die Genehmigung problemlos erteilt. Einzig der Wärmeschutznachweis bereitete etwas Probleme. Erforderlich wurde eine 8 cm dicke Außendämmung.
Der Umbau
Im Herbst 1997 war es dann soweit. Das Brennholz wurde unter kräftigem Murren meines alten Vaters aus dem Silo geräumt. Die Baumaßnahme begann, begleitet von ständigen mehr oder minder kleinen Problemen und Hindernissen. Dies war ja auch nicht verwunderlich, denn vorgefertigte Elemente und Bauteile des
Baustoffhandels passten nur selten zu den Maßen des Betontürmchens. Improvisation gehörte zum Tagesgeschäft.
Doch der Reihe nach. Zunächst wurde ein 5 m langes Stahlrohr als Mittelsäule zur Aufnahme der Deckenbalken mittels eines am Dachausstieg befestigten
Elektroseilzugs im Innern des Silos aufgestellt. Als Deckenbalken und Fußboden dienten Fichtenbohlen.
Für den Fußboden wurden die Fichtenbohlen auf 40 mm Dicke gehobelt auf der Tischfräse gefalzt, damit man nach dem Trockenschwund nicht durch die
Geschossdecken sehen konnte. Ein Trittschallschutz war nicht erforderlich, da der Wohnturm nur für zwei Personen Platz zum Schlafen bieten sollte. Mit
Stahlwinkeln und Schwerlastdübeln wurden die Deckenbalken mit den Betonwänden verbunden.
Bevor der Betonboden bzw. -estrich für das Untergeschoss eingebracht wurde, mussten die Abwasserrohre für das kleine Duschbad exakt verlegt werden. Der
Anschluss an die Kanalisation erforderte einen 50 m lagen Graben, der in mühsamer Handschachtung durch Wurzelwerk und alte Sandsteinfundamente gegraben
wurde. Nur so war es möglich, die Obstbäume meines Vaters vor Beschädigungen zu bewahren. Strom und Wasser wurden vom nahestehenden Wohnhaus zum Silo verlegt.
Die Türöffnung wurde mit einem Asphaltschneider und Hartmetallsägeblatt aus dem Betonkörper geschnitten, die Luken des Silos zu Fenstern aufgearbeitet. Die
Verglasung aus Plexiglas wurde mit Edelstahlschrauben ähnlich wie bei Schiffen eingeschraubt. Auf Isolierglasfenster musste verzichtet werden. Die
Räumlichkeiten verlangten nach zusätzlichem Licht. Die Fenster durften jedoch wegen der Wandrundung nicht zu groß bemessen sein. Da der Innenausbau ein
maritimes Ambiente erhalten sollte, kam mir während der Bauphase die Idee, Schiffsbullaugen als Fenster einzubauen. Bei einem Besuch der Interboot in
Düsseldorf fand ich die Lösung. Ein namhafter Schiffsausrüster aus Hamburg-Altona hatte die passenden Bullaugen, die hinsichtlich ihres Durchmessers zu den
Bohrkronen eines Spezialunternehmens passten. Sechs kreisrunde Öffnungen im Durchmesser von 40 cm wurden an verschiedenen exakt vorgegebenen Stellen zur Verbesserung der Belichtung gebohrt. Kosten und Mühen haben sich im Nachhinein gelohnt. Die drei Stockwerke sind hervorragend belichtet. Das alte verrostete Geländer auf dem Dach des Silos verdiente seinen Namen nicht. Es bestand aus einigen Winkelstäben und durchhängenden Ketten. Um das
Flachdach mit Panoramablick in nahezu 7 m Höhe als Dachterrasse nutzen zu können, musste ein neues und sicheres Geländer hergestellt und montiert werden.
Zunächst wurden an die Rohrpfosten Laschen geschweißt. Auf dem Bauch liegend und mit lang ausgestreckten Armen wurden die Löcher für die Halteanker an der
Außenwand mit der Schlagbohrmaschine in den Beton gebohrt. Mittels Seil fanden die Geländerfelder den Weg nach oben. Nach Anpassungsarbeiten und Probemontage wurde das gesamte Geländer anschließend wieder demontiert und verzinkt.
Die alte Aufstiegsleiter mit dem sogenannten Fangkorb aus Holzlatten, die allerdings weitgehend abgefault waren, sollte auf jeden Fall erhalten bleiben.
Sie wurde ebenfalls demontiert, feuerverzinkt und anschließend wie das Geländer blau gestrichen. Demontage und Wiedermontage gestalteten sich schwieriger als
erwartet. Nur mit größter Kraftanstrengung konnte ich auf dem Dach des Silos stehend die schwere Eisenleiter mit einem Strick halten, während unser Sohn die
Leiter an die vorbereiteten Laschen schraubte. Die alten Latten wurden gegen Eisenstangen in U-Profil ausgewechselt.
Die aus den alten Luken hergestellten Fenster ließen sich glücklicherweise von innen einbauen. Die Fenster sind konstruktiv nicht zum Öffnen geeignet und über
Knebelverschlüsse mit Flügelmuttern verschlossen. Die nachträglich eingebauten Bullaugen lassen sich dagegen sehr gut zur Belüftung öffnen. Nach Einbau des
Zementestrichbodens und der Bodenfliesen begann der Innenausbau. Im Erdgeschoss mussten mit Montagewänden das kleine Duschbad sowie der Hausinstallationsraum, in dem sich der Elektroverteilkasten, der Durchlauferhitzer für die Warmwasserbereitung und die Heizzentrale befinden, abgetrennt werden. Wegen der beengten Platzverhältnisse war Millimeterarbeit angesagt.
Nach reiflicher Überlegung wurde eine Flüssiggaszentralheizung in Eigenleistung eingebaut. Selbst die kleinste Baureihe der am Markt befindlichen
Gasbrennwertkessel mit 4 bis 11 kW Heizleistung ist für das geringe Raumvolumen von ca. 65 m3 schon überdimensioniert. Die anschließende erste Heizperiode
verlief ohne jegliche Pannen. Zur unsichtbaren Verlegung der Elektroinstallation dienen eigens angefertigte Holzkabelkanäle, die zugleich Lampen, Schalter und
Steckdosen aufnehmen.
Die zwei eingebauten Raumspartreppen bestehen aus Einzelelementen. Der Radius wurde vor Ort den örtlichen Gegebenheiten angepasst. Orientiert an dem Vorbild von Schiffen und Yachten wurden die Wände - von einigen kleinen Flächen im Bad und in der Pantry abgesehen - mit einer Kiefernholzvertäfelung verkleidet, die farblich hervorragend mit den blau lackierten Stahlelementen harmoniert und sich zudem positiv auf die Lichtverhältnisse auswirkt.
Die Möbel, wie Schlafzimmer, gepolsterte Rundsitzgruppe oder Pantry, mussten selbst nach Maß gefertigt und eingebaut werden.
Heute ein Hochzeitsturm
Nach fünfjähriger Bauzeit mit Unterbrechungen und jeder Menge Eigenleistung ist das ins einer Art wohl einmalige Projekt endlich fertiggestellt worden. Arbeits-
und Zeitaufwand sowie die vielen Probleme im Detail haben die ursprünglichen Vorstellungen weit übertroffen.
Seit Mitte 2002 ist die Ferienwohnung oder der "Hochzeitsturm" - wie er in Freundeskreisen genannt wird - fertig und beherbergte bereits die ersten
Brautpaare. Ein Aufenthalt bleibt sicherlich in unvergesslicher Erinnerung. Auf drei Geschossebenen mit einer Gesamtfläche von 27 m2 einschließlich der
Treppenaugen erwartet die Besucher ein außergewöhnliches Raumerlebnis.